Christoph Sieber – vielfach ausgezeichneter Kabarettist, Autor und Moderator der WDR-„Mitternachtsspitzen“. Mit seinem aktuellen Soloprogramm „Weitermachen!“ richtet er den Blick auf die politischen und gesellschaftlichen Zumutungen unserer Zeit, erzählt von dem, was uns verbindet und uns trennt.
TVinfo: Was sagt es über den Zustand der westlichen Welt aus, dass ein Late-Night-Comedian eine wesentliche Rolle in der Verteidigung der Meinungsfreiheit spielt?
Christoph Sieber: Es wurde schon von mehreren Stellen gesagt: Im Bergwerk der Demokratie sind vielleicht die Komiker die Wellensittiche, die anzeigen, dass noch Luft ist. Also dass man noch atmen kann. Und wenn die Wellensittiche nicht mehr piepen, dann wird es eng. Dann sollte das das Zeichen sein, dass der Faschismus schon so weit ist, dass wir nicht mehr frei sind. Das, was ich jeden Abend auf der Bühne sage, was ich mache, ist ein Stück gelebte Freiheit in dieser Gesellschaft. Dass ich die Regierung kritisieren darf, ist eigentlich jetzt für uns selbstverständlich. Das ist aber in vielen Ländern der Welt nicht mehr selbstverständlich. Das ist auch schon in Europa nicht mehr selbstverständlich, das kannst du in Ungarn nicht mehr machen. Das kannst du in Polen nicht mehr machen. Da verschwindest du einfach. Und es ist auch da für das Publikum ein Risiko, dahin zu gehen. Dass wir diese Freiheit haben, haben wir wenig geschätzt. Und jetzt wird es uns so langsam klar, was es bedeutet, dass diese Freiheit immer weiter eingeschränkt wird. Satiriker sind welche, die die Freiheit des Sagbaren und des Denkbaren ausloten. Und natürlich auch manchmal über die Grenzen hinausschießen. Auch das muss erlaubt sein. Und damit meine ich nicht die Grenzen des Grundgesetzes. Ich finde, was strafrechtlich relevant ist, muss strafrechtlich relevant bleiben.
TVinfo: Zum Beispiel?
Christoph Sieber: Wenn ich als Beispiel nehme, gegen den Krieg zu sein und zu sagen: die Aufrüstung, die wir hier betreiben, ist unverhältnismäßig. Das macht einen noch nicht zum Stiefelknecht Putins. Ich traue Putin nicht. Ich traue den Amerikanern aber genauso wenig. Ich finde, das sind Denkräume, die wir uns erhalten sollten. Müssen wir Sorge haben, dass das, was gerade in Amerika passiert, nach Europa überschwappt? Absolut. Jede Dummheit, jede Niedertracht, jede Verkommenheit der Kultur, die in Amerika stattgefunden hat, über die haben wir immer ein paar Jahre gelacht. Und das ein paar Jahre später in Europa genauso gemacht.
TVinfo: Lernt hier gerade Europa von Amerika? Oder Amerika aus der europäischen Geschichte?
Christoph Sieber: Der Faschismus hat eine unglaubliche Faszination auch für die Amerikaner, und man sieht das an Donald Trump. Trump ist alles andere als ein Demokrat. Man kann auch sagen, dass Donald Trump alles andere als ein wirklich kluger Mensch ist, der weitreichende Entscheidungen für ein Land treffen sollte. Und der auch immer Herr seiner Sinne ist und genau weiß, was er tut. Und dass eine Strategie dahintersteckt. Das wird ihm immer mal wieder unterstellt. Ich glaube, das ist eine bösartige Unterstellung. Ich glaube, dieser Mann verfolgt einfach gar keine Strategie und das ist das Schlimme. Also wenn wir Herrschende haben, wenn wir mächtige Menschen haben, die keine Strategie haben. Das ist wirklich extrem schwierig und extrem gefährlich. Und dass diese Menschen aber eine Faszination haben, dass sie erfolgreich sind und durchs Fernsehen groß geworden sind. Sie einfach nur die Chuzpe haben, sich hinzustellen und die Wahrheit so weit zu verdrehen und zu sagen: Die Lüge ist auch ein Teil der Wahrheit.
TVinfo: Warum funktioniert das?
Christoph Sieber: Das Schlimme ist, dass sich die Herrschenden – auch die Europäer – um ihn herum versammeln. Sie stehen alle da in ihren Anzügen und sagen: Ja, ja, ja. Eigentlich müsste irgendeiner sagen: Der Kaiser ist nackt! Ja, der Kaiser, der da sitzt, ist einfach nackt! Das ist ein Idiot! Aber es traut sich keiner. Aus Gründen und teilweise, weil man um die Macht Amerikas weiß. Die gibt es: Es gibt eine wirtschaftliche Macht. Es gibt eine strategische Macht. Eine militärische Macht, auf die wir auch angewiesen sind. Und dann traut sich niemand mehr, das ist bedenklich.
TVinfo: Was bedeutet das für Deutschland?
Christoph Sieber: Wenn die AfD jemanden Smarten, Lockeren finden würde… Alice Weidel gibt sich alle Mühe, möglichst unsympathisch rüberzukommen. Man kann ihr wirklich Vieles unterstellen – aber da muss man sagen, darin ist sie perfekt. Und trotzdem liegt die AfD bei 30 %. Was wäre möglich, wenn die einen smarten Menschen an der Spitze hätten, der mit einer gewissen Lockerheit vielleicht den Faschismus den Leuten ein bisschen fröhlich, humorvoll, gelassen rüberbringt. Dem würden die Leute aus der Hand fressen. Das ist die Angst, die ich habe: Dass wir auch so jemanden kriegen werden.
TVinfo: Welche Rolle spielt unsere Geschichte aktuell in den USA?
Christoph Sieber: Ich glaube, dass es den Menschen nicht bewusst ist, was gerade in Amerika passiert. Die Menschen denken in erster Linie an sich. Was ja auch legitim ist als Volk. Ich denke erst einmal an meine eigene Geldbörse. Und sie glauben den Versprechungen, die Donald Trump gemacht hat, ähnlich wie die AfD Versprechungen macht. Die AfD verspricht ja auch den Menschen hierzulande, dass sie sich um die kleinen Leute kümmert. Dass die Renten sicher sind. Was Donald Trump wirklich umsetzt, ist absolut kontraproduktiv. Die Preise sind explodiert in den USA genau aufgrund dieser Zölle. Das müssen wir realistisch sehen. Wir können viele Dinge in unserer westlichen Gesellschaft mit unseren Mindestlöhnen, mit unseren Mindeststandards einfach nicht mehr produzieren. Made in China ist ja so erfolgreich nicht nur, weil da viele Menschen sind, die da arbeiten, sondern auch viele Menschen, die einfach auch zu wirklich niedrigen Löhnen und miserablen Bedingungen arbeiten. Das ist einfach eine Realität, und das können wir in Europa so nicht leisten.
TVinfo: Es gibt Menschen, die ziehen Parallelen zwischen der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde ICE und der Gestapo…
Christoph Sieber: Ein gewagter Vergleich, aber trotzdem ist Vorsicht geboten. Es gibt bei uns Leute in der migrantischen Community, die sagen: Ich zahle doch Steuern. Ich bin doch Teil dieser Gesellschaft. Und dann sage ich: Schaut in die USA, was da passiert. Die machen keinen Unterschied, sondern Migrant ist Migrant. Ob du Arbeit hast, ob du Teil dieser Gesellschaft bist, ob deine Kinder zur Schule gehen, ob du Englisch sprichst, ob du dich integriert hast, ob du gebraucht wirst, spielt keine Rolle. Das heißt nicht, dass wir nur ungeregelte Migration ertragen können als Gesellschaft. Wenn Leute nicht arbeiten und am Bahnhof rumhängen, weil ihnen langweilig ist, ja dann nervt das mich auch manchmal. Aber dann ist doch die Frage: Wie können wir den Leuten eine Chance geben? Ich sage da: Jeder und jede bekommt eine Chance und nach einem Jahr gucken wir, ob jemand bewiesen hat, dass er willens ist, sich einzubringen. Dann ist mir doch egal, ob der einen Fluchtgrund hat. Ich erkenne an, da ist jemand, der hat Bock zu arbeiten, der hat Bock, sich anzustrengen, hat Bock, sich was aufzubauen. Das ist doch genau die Philosophie, die uns in Deutschland groß gemacht hat. Dass wir Leute hatten, die gesagt haben, ich habe Bock, aus meinem Leben was zu machen.
TVinfo: Also war es früher besser?
Christoph Sieber: Es wird ja immer gesagt, die Leute haben sich früher für den Wohlstand in Deutschland krummgelegt. Das ist Quatsch. Keiner hat doch für den Wohlstand in Deutschland gearbeitet. Jeder hat für seinen eigenen Wohlstand gearbeitet. Das hat natürlich allen genutzt. Das ist ja schön. Das ist ein super Nebeneffekt. Das ist doch das, was die Leute antreibt: Dass sie persönlich sehen, ich habe eine Aufstiegschance. Es kann besser werden. Und diese Vision ist verloren gegangen in der Gesellschaft. Das ist der Grundsatz unseres Zusammenlebens. Dass wir sagen: Wenn du dich anstrengst und wenn du hart arbeitest, wenn du was aus dir machst, dann entsteht etwas für die Gemeinschaft, was für alle nützlich ist. Das will ich noch dazu sagen, weil das so wirkt, dass ich den Leistungsgedanken so nach vorne stell: Ich glaube auch, dass wir es aushalten müssen, dass es einige in der Gesellschaft gibt, die diesem Leistungsgedanken nicht gewachsen sind. Die aus Krankheitsgründen, aus körperlichen Gründen, auch vielleicht auch aus Schicksalsschlägen nicht rauskommen. Das können und müssen wir als solidarischen Gedanken sehen. Mir geht es gut. Und dafür kann ich was abgeben, dass ich so viel Glück hatte. Dafür muss man dankbar sein. Ich kann einen Teil von meinem Wohlstand abgeben, dafür geht es der Gesellschaft als Ganzes besser.
TVinfo: Dann geht es aktuell doch in die falsche Richtung?
Christoph Sieber: Inzwischen erleben wir so viel Armut auf den Straßen. Also wirklich eine richtige Verelendung. Das ist kein Zustand, den wir als Gesellschaft akzeptieren dürfen. Da müssen wir immer wachsam bleiben und sagen: Das darf einfach nicht Normalität sein. Das ist Solidarität, dass den Leuten wird geholfen! Ich weiß, es gibt auch welche, die wollen nicht. Aber denen, die wollen, muss die Gesellschaft ein Angebot machen!
TVinfo: Wie steht es gerade um unsere politische Kultur? Gibt es einen Trend weg von den Sachthemen hin zu persönlichen Kontroversen und sogar Diffamierungen?
Christoph Sieber: Das ist, behaupte ich, nicht nur in der Politik so, sondern das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Essentielle Ursache dafür ist, dass wir in digitalisierten Welten leben, in denen Social Media den Ton bestimmt. Wir haben eine Verrohung erst im Social-Media-Bereich erlebt, Beleidigungen, gegenseitige Diffamierungen. Der wirkliche Austausch von Argumenten ist da kein Wert an sich. Der findet da nie statt. Wir tun immer so, als wären das Diskussionen. Aber das sind ja keine Diskussionen. Wir erleben eine Gesellschaft, in der Meinungen zu Fakten werden. Es ist eine Verrohung, dass wir einander nicht mehr zuhören, dass wir einander niederbrüllen, dass wir einander in Schubladen stecken. Der Begriff Nazi oder der Begriff Putinknecht. Oder was weiß ich, was wir alles für Frames für Leute haben. Dadurch diskreditieren wir sie einfach und entziehen ihnen das Mitspracherecht. Das ist das, was Leute oft damit meinen, dass Meinungsfreiheit verloren geht. Das ist nicht so, dass sie sich nicht mehr äußern dürfen. Aber sie werden einfach nicht mehr ernst genommen.
TVinfo: Muss denn jede Meinung ernst genommen werden?
Christoph Sieber: Es gibt bestimmte Meinungen, bei denen ich mich schwer tue, sie ernst zu nehmen, bin ich ganz ehrlich. Früher gab es auch schon Leute, die einfach in ihrem Dorf irgendeine wirre Meinung hatten. Die kamen dann an den Stammtisch. Und da hat man gesagt: Der Heinz ist wieder da. Und der Heinz hat gesagt, es ist ein UFO gelandet, wir haben Außerirdische hier, die haben jetzt gerade das Rathaus besetzt. Und dann sagt man halt: Heinz ist gut, komm trink einen Schnaps, und morgen ist es vergessen. Heute findet Heinz zwanzig Leute auf Social Media, die sagen: Ich habe das Ufo auch gesehen! Die sind da! Dann kommen wir sofort in einen Bereich, wo du einfach denkst: Jetzt wird es ganz irre. Jeder will noch irrer sein als der Vorredner.
TVinfo: Was hilft dagegen?
Christoph Sieber: Ich ein großer Verfechter der Regulierung des Internets. Ich glaube, dass das Internet alle Versprechungen gebrochen hat, die es gemacht hat: Dass es die Welt demokratischer macht, dass es die Welt offener macht, dass es ein offener Diskurs wird, dass es Freundschaften pflegt. Ja, was haben wir Witze gemacht über Katzenvideos. Heute wären wir doch so froh, wenn Social Media überschwemmt wäre mit Katzenvideos.
TVinfo: Ist es denn möglich, das Internet zu regulieren?
Christoph Sieber: Es ist ja ein Grundproblem, dass das Geschäftsmodell der Algorithmen aus den USA kommt. Dass gesetzliche Regulierung in den USA stattfinden müsste, weil die Plattformen alle in den USA ihren Hauptsitz haben. Ich glaube, dass die Regulierung durch die Bevölkerung an sich stattfinden muss. Wir haben das jetzt zum Beispiel in Schulen, in denen es ein Handyverbot gibt. Ich glaube, dass wir uns alle selber regulieren müssen und können. Dass wir weniger das Smartphone nutzen, damit die Bildschirmzeit abnimmt. Die Bildschirmzeit ist eine verlorene Zeit, das müssen wir uns alle vor Augen führen. Das ist eine Zeit, in der wir in einer Welt versinken, die nicht der Realität entspricht. Die dieser Gesellschaft nicht gut tut. In der ein Ton herrscht, den wir uns einfach nicht angewöhnen dürfen. Der die Gesellschaft kaputt macht. Und die auch ein falsches Belohnungssystem hat, nämlich diejenigen belohnt, die möglichst extrem und möglichst hart in ihrem Urteil sind. Und nicht diejenigen belohnt, die eigentlich ausgleichend und regulierend sind. Und versuchen, freundlich zu sein. Es gibt immer so diesen Spruch: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße. Das stimmt einfach nicht: Wenn alle auf der Welt ein bisschen netter zu anderen wären als sie müssten, dann wäre die Welt eine bessere. Ich glaube, dass jemand Nettigkeit nicht immer, aber zu 80 % weitergibt.
TVinfo: Überlassen wir die Bildschirme dann nicht den anderen?
Christoph Sieber: Die Relevanz geben wir diesem Netz, indem wir da mitmachen. Das sehe ich auch selbstkritisch: Ich bin bei Social Media im letzten halben Jahr verstärkt eingestiegen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das der richtige Weg ist und wie lange ich das noch mache. Und ob ich wirklich glaube, dass ich da etwas hin zum Guten verändern kann. Wenn das Angebot weniger wird, also wenn es nicht mehr so interessant ist, dann wird es wirklich wieder interessant rauszugehen und zu sagen: Das reale Leben ist das, was da draußen ist. Ich glaube, dass das besser ist für die Welt. Ich glaube, dass der Filter der digitalen Welt uns verrohen lässt. Der Mensch hat das Barbarische immer in sich. Wir glauben, dass wir zivilisatorisch so weit sind. Aber der Firnis der Zivilisation ist extrem dünn. Das kann ganz schnell einbrechen. Wir sind nicht geheilt in Deutschland vom Faschismus. Der ist wie ein Virus, der nur darauf wartet, dass er ausbrechen kann. Er braucht irgendeine Schwachstelle, wo er ausbrechen kann, dann passiert das auch und dann kann das auch wieder epidemisch werden.
TVinfo: Ist das Internet ein Irrweg?
Christoph Sieber: Wir können das nur ausrotten, indem wir es einfach lassen und entscheiden: Das war ein Versuch, dieses Internet. Das Internet bietet ja auch inzwischen durch KI weniger an Informationen. Letztendlich führt KI ja jetzt immer mehr dazu, dass ich den Artikel, den ich online lese, noch mal irgendwie gegenchecken muss, weil ich gar nicht sicher sein kann, ob dieser Artikel, der jetzt da eingestellt ist, auch wirklich von einem Journalisten geschrieben wurde oder ob das einfach eine KI zusammengeschustert hat. Und wir wissen inzwischen, dass die KI extrem viele Fehler macht. Sie versucht immer, mir zu gefallen, dem Fragenden. Und das ist nicht gut.
TVinfo: Die Kabarettistin oder der Satiriker sollte eher auf volle Hallen als auf viele Follower achten?
Christoph Sieber: Natürlich bin ich froh, wenn die Hallen voll sind. Das ist keine Frage. Ich mache das ja, weil ich Leute erreichen will, und weil ich auch Bock habe, dass da Leute sitzen. Aber auf der anderen Seite mache ich es ja nicht, um die Hallen voll zu kriegen. Ich will ja nicht so opportunistisch sein und sagen: Ich erzähle nur das, was euch gefällt. Sondern ich erzähle das, was ich denke, was meine Haltung zur Welt ist. Meine Einstellung zu bestimmten Themen. Und die erzähle ich. Dass es dafür eine Community gibt, das finde ich toll. Und natürlich finde ich es auch toll, dass ich über das Internet Leute erreiche, die ich vorher nicht mehr erreicht habe. Weil die halt einfach kein lineares Fernsehen mehr gucken. Das Live-Geschäft wird immer das Live-Geschäft bleiben. Das ist für mich die reale Welt. Meine Welt ist die Live-Welt.
TVinfo: Gibt es in dieser Live-Welt noch genug junge Menschen?
Christoph Sieber: Junge Menschen sind wahnsinnig schnell begeisterungsfähig sind. Plötzlich taucht ein Reinhard Mey in den Charts auftaucht. Die Leute sind berührt von seinem Lied. Das liegt ja nicht nur daran, dass das jetzt Haftbefehl toll findet, sondern weil sie es selber auch berührt.
TVinfo: Und gibt es in der Politik genug junge Menschen? Oder wenigstens genug junge Themen?
Christoph Sieber: Mich wundert sehr, dass die jungen Leute so ruhig sind. Also es gab ja während „Fridays for Future“ schon einmal hunderttausende auf der Straße. Wenn ich ein junger Mensch wäre, würde ich sagen: Passt auf ihr, ihr versaut gerade das Klima, das ist unsere Zukunft! Ihr macht einfach jetzt so weiter, als wären die drei Jahre Ampel nicht gewesen. Jetzt kommt Katharina Reiche und sagt, wir machen Gaskraftwerke. Wir drehen das Rad der Geschichte wieder zurück. Dann kommt die Wehrpflicht, dann hat man auch wirtschaftlich keine Zukunft, dann ist für die jungen Leute, wenn die einmal Rente bekommen werden, wirklich gar nichts mehr übrig. Das ist wahnsinnig wenig zukunftsgewandt.
TVinfo: Kommt die Jugend gerade unter die außenpolitischen Räder?
Christoph Sieber: Das sehe ich ein bisschen anders. Es gibt momentan einen extremen Klassenkampf. Es werden gerade die Interessen der Reichen extrem von der jetzigen Regierung verteidigt. Der Bericht der Wirtschaftsweisen sagt: Die Umverteilung in Deutschland funktioniert nicht mehr. Extrem hohe Erbschaften werden gar nicht mehr besteuert oder viel weniger besteuert als kleine Erbschaften. Kritik am Reichtum, am Überreichtum in Deutschland ist keine Neiddebatte. Es wird eher Neid geschürt gegenüber denjenigen, die am unteren Rand der Gesellschaft leben. Gegenüber dem Bürgergeldempfänger, gegen den Migranten, gegen die Ukrainer. Da wird eine extreme Neiddebatte geführt, dass die uns was wegnehmen. Und da werden Gesellschaftsschichten gegeneinander aufgehetzt. Der Missbrauch von Bürgergeld ist ein Thema, was extrem aufgebauscht wird. Aber der Missbrauch von Millionären und Milliardären bei der Steuer, bei der Steuervermeidung ist um 100.000faches größer und wird einfach nicht angegangen.
TVinfo: Ist in letzter Zeit irgendetwas passiert, wonach Sie sagen würden: Da habe ich einmal so richtig daneben gelegen? Oder wenigsten: Da muss ich doch noch ein bisschen nachlernen?
Christoph Sieber: Das ist eigentlich ständig so. Das ist ja das tolle auch am Live-Programm, dass ich Rückmeldung kriege. Wir leben in einer extrem komplizierten Welt. Ich mache gerne noch einmal das Ukraine Thema auf: Letztendlich haben wir diese Extrempositionen, so dass die einen als Träumer bezeichnet werden, die glauben, man könnte mit Putin diskutieren und man könnte Frieden schaffen ohne Waffen. Das ist ja eine Position, die ich aus den 70ern auch von mir persönlich kenne. Das war mein Ding. Aber das war halt eine andere Zeit. Gleichzeitig bezeichnen sie aber alle, die jetzt für Aufrüstung und für eine wehrhafte Demokratie sind, als Kriegstreiber, die den Krieg mit Russland verfolgen. Beide Positionen stimmen so nicht. Ich glaube, dass beide Positionen eigentlich Frieden wollen, und wir darüber streiten: Was ist der Weg dahin?
TVinfo: Und was ist der Weg dahin?
Christoph Sieber: Ist der Weg der Diplomatie der Weg der Kapitulation? Er hat den großen Nachteil, dass wir mit Putin einen Gegner haben, der nicht diskutieren will. Ich sehe einfach in den letzten Jahren nicht, dass er in irgendeiner Weise zu einem Kompromiss, zu Eingeständnissen oder zu auch zum Rückzug aus der Ukraine bereit war. Nichts davon ist da, nichts. Und auf der anderen Seite muss man sagen, Aufrüstung sehe ich auch kritisch. Das sind plötzlich 500 Milliarden da, die vorher nie da waren für irgendwas, wofür wir es gebraucht hätten. Für Infrastruktur oder im sozialen Bereich. Die sind nicht da gewesen. Und natürlich muss man auch sagen: Waffen, die da sind, können auch benutzt werden. Wer garantiert mir, dass die dann nicht auch benutzt werden? Beide Positionen müssen einfach sehr differenziert betrachtet werden. Deshalb können wir die Diskussion nicht so schablonenhaft wie früher führen.
TVinfo: Wird es dadurch für den Kabarettisten schwieriger?
Christoph Sieber: Das ist der große Vorteil des Kabarettisten gegenüber dem Politiker. Der Politiker kann sich heute kaum erlauben, als Wendehals zu gelten. Ich erlaube mir das und sage: Ich habe vielleicht Sachen behauptet, die so nicht stimmen und oder nicht gestimmt haben und sich tatsächlich verändert haben. Ich glaube auch, dass es in einigen Bereichen Dinge gibt, die auch besser werden. Das ist auch eine Sache, die ich als Kabarettist manchmal zugeben muss.
TVinfo: Wir haben das Gespräch begonnen mit einem US-amerikanischen Comedian, den wir alle kennen. Was muss passieren, damit Jimmy Kimmel auch Christoph Sieber kennt?
Christoph Sieber: Natürlich ist der englischsprachige Markt enorm viel größer als der deutschsprachige Markt. Ich bin aber auch mit diesem enorm zufrieden und glücklich. Ich bin auch enorm froh darüber, dass ich nie eine Berühmtheit wurde in meinem Leben. Also eine wirkliche Berühmtheit. So Leute, die nicht mehr auf der Straße gehen können. Die nicht mehr ins Freibad gehen können, weil alle ihre Handys zücken. Da bin ich so froh, dass das an mir vorbeigegangen ist. Und dass dieser deutschsprachige Markt groß genug ist, um gut leben zu können. Aber nicht so groß, dass du weltweit ein Star bist. Das finde ich eine ganz schreckliche Vorstellung.
TVinfo: Wenn es schon nicht Amerika wird, wie wäre es dann mit einem europäischen Kabaretthimmel? Oder gibt es da dann doch ein Sprachproblem?
Christoph Sieber: Ich glaube schon, dass der Humor weltumspannend ist. Es gibt auch bestimmte Regeln für Pointen, die einfach weltumspannend sind. Es gibt natürlich Leute wie Monty Python, die einen Teilbereich des Humors ausmachen, der vielleicht irgendwo anders nicht verständlich wäre. Auch ein Helge Schneider wäre in anderen Ländern schwieriger zu verstehen, weil er mit den deutschen Eigenarten spielt. Auch mit der Dekonstruktion unseres Denkens, unseres Daseins und unserer Strukturen. So wie wir als Deutsche gemacht sind. Schon in Österreich und der Schweiz merke ich oft, dass es den Leuten hilft, wenn ich vorweg sage: Ihr könnt jetzt darüber lachen, und dann könnt ihr über uns Deutsche lachen, aber ihr könnt auch gleichzeitig denken, wie nahe wir uns eigentlich sind. Und dann merkt man schon, dass wir Europäer schon eine gemeinsame Seele haben. Im Kern sind wir Europäer doch wirklich ähnlich. Und deshalb glaube ich, dass auch unser Humor ähnlich ist. Aber am Ende scheitert es halt an der Sprache, weil wir letztendlich viele Dinge, die wir ausdrücken wollen, muttersprachlich ausdrücken müssen. In der Übersetzung wäre es ein anderes Programm.
TVinfo: Sollten wir Deutschen den ersten Schritt gehen? Über Ländergrenzen hinweg satirisch auftreten und ausländische Kabarettistinnen und Kabarettisten einladen?
Christoph Sieber: Wenn es irgendwann in der Welt einmal heißt, von Deutschland geht nicht Krieg aus und nicht Faschismus, sondern Humor. Dann trete ich zurück. An dem Tag sage ich: Meine Mission ist erfüllt, denn besser kann es nicht mehr werden.
TVinfo: Christoph Sieber, wir danken für das Gespräch!
Das Gespräch führte Markus Pins am 14.11.2025 in Düsseldorf.
Fotos: Floria Pins