Interview mit Sebastian Koch – „Ich gehe nach der Lust, es muss mich interessieren“

Interview (2009) anläßlich der Neuverfilmung des legendären Romans „Der Seewolf“ von Jack London

Sebastian Koch

TVinfo: Herr Koch, Sie haben Jack Londons Roman "Der Seewolf" bereits in Ihrer Jugend gelesen. Ist mit der Darstellung des Seewolfs als Kapitän Larsen ein bewusst nachgeholter, unbewusster Jugendtraum in Erfüllung gegangen?

Sebastian Koch: Das mag unbewusst vielleicht sein, ja - diese Frage habe ich mir bisher noch nicht gestellt. Ich habe den Stoff früher sehr intensiv am Bildschirm (die legendäre Fernsehverfilmung von 1971 mit Raimund Harmsdorf in der Rolle des Seewolf - Anm. d. Red.) erlebt und fand das beeindruckend. Natürlich mit 12-13 Jahren hat man auch dieses Grenzenausloten, raus aus dem Elternhaus, das war einem sehr verwandt. Und dieser Wolf Larsen, diese Bestie, der keine Grenzen hat, sondern einfach macht, was er will, war natürlich damals ein Held für uns. Doch ich bin zu viel Schauspieler, um das nicht nur so naiv zu sehen und zu sagen: Jetzt erfülle ich mir einen Jugendtraum. Was ich festgestellt habe nach 30 Jahren, nochmal durch dieses Angebot, den Roman lesend, zu sagen mein Gott, das ist ein Stück Weltliteratur. Jack London ist in Deutschland in so einer Abenteuerecke und das stimmt nicht, das ist ein faustischer großer Stoff - wenn man dabei bleibt. Diese zwei Seelen in der Brust von Jack London. Der Eine, der einfach ohne Grenzen lebt, und der Andere sagt: Es gibt eine Moral und Regeln, an die man sich halten muss. Diese beiden Stimmen tragen wir alle in unserer Brust.

TVinfo: Die im Film dargestellten menschlichen Konflikte thematisieren die intensive Auseinandersetzung zwischen einer moralbestimmten Welt und einer vielleicht aus Enttäuschung darwinistisch geprägten Lebensweise. Wo findet sich ein Sebastian Koch zwischen diesen Extremen wieder?

Sebastian Koch: Genauso mit diesem selben Zweifel. Nochmal auf diese zwei Seelen in der Brust kommend: Sie sagen aus Enttäuschung, es geht auch ohne Enttäuschung. Es gibt diese zwei Stimmen. Der eine sagt, ich will in der Autoschlange, beim Stau, rechts auf der Standspur vorbeifahren, und der andere sagt: Das darfst du nicht, wir haben Regeln in der Gesellschaft. Blödes Beispiel, aber ein sehr einfaches. Das wird es immer geben, diese Auseinandersetzung. Wie weit kann ich meine Freiheit leben und wann muss ich der Gesellschaft zuliebe, in der ich lebe, Rücksicht nehmen. Das ist das Wesen dieses Stoffes, und da gibt es keine Antwort.

TVinfo: Mit der darwinistisch geprägten Lebensphilosophie des Seewolfs kann man im Leben vielleicht manchmal schneller seine Ziele erreichen. Ist es wichtig auch solche Eigenschaften zu besitzen und anzuwenden?

Sebastian Koch: Ja, aber ich bin nicht so ein rücksichtsloser Mensch, sicher nicht. Es ist auch eher eine Parabel, ich denke die Figur des Wolf Larsen ist bewusst überzogen. Was ich allerdings versucht habe ist dieser Gegenpol. Das, was sie in der ersten Frage mit dieser Enttäuschung angedeutet haben. Der muss irgendetwas noch haben, was ihn treibt. Und da habe ich mich gefragt: Was könnte das sein? Wir haben dann diesen Bruderkonflikt weitergetrieben. (Der Seewolf Wolf Larsen konkurriert in einem zweiten Handlungsstrang mit seinem Bruder Death Larsen, gespielt von Tim Roth, der schneller die Fanggründe zur brutalen Robbenjagd erreichen will - Anm. d. Red.) Da muss etwas in der Kindheit passiert sein, was ihn so verletzt und enttäuscht hat, das er so geworden ist und auch davor wegläuft, obwohl er eigentlich ein ganz romantischer Mensch ist, der die Liebe nie richtig erlebt hat und sich nach ihr sehnt und sie gleichzeitig zerstören muss, mit aller Wucht und Kraft.

TVinfo: Wäre die Rolle des Humphrey van Weyden nicht passender für sie gewesen?

Sebastian Koch: Nein - uninteressant, also für mich als Schauspieler. In diesem Roman muss man den Wolf Larsen spielen oder die Finger weglassen. Ich möchte nicht die Leistung meines Kollegen schmälern, der phantastisch war. Und ich bin ganz froh und dankbar, dass der Steph (Stephen Campbell-Moore spielt die Rolle des intellektuellen Schriftstellers Humphrey van Weyden - Anm. d. Red.) das gemacht hat und auch wirklich ein Gegner war. Das hätte man auch leicht zum Jasager abfallen lassen können. Stephen hat gut gegengehalten.

TVinfo: Bei der Auswahl Ihrer Rollen wagen sie immer wieder komplett Neues und gehen dabei auch bewusst das Risiko eines Scheiterns ein. Warum diese Vorliebe zum Verlassen der eigenen Komfortzone?

Sebastian Koch: Hmm, gute Frage (lacht - Anm. d. Red.). Weil ich glaube, dass Kreativität aus einer Spannung entsteht, nicht zu wissen, wo es hingeht. Dass ich selber eine Ahnung habe, eine Phantasie natürlich, und mir diesen Wolf Larsen vorstelle. Was ich da an Muskeln noch anlegen muss, wie es aussehen könnte, wie sich die Rolle anfühlt. Und dann dahin zu springen, am ersten Drehtag auf dem Schiff zu stehen und in einer fremden Sprache (Der Seewolf wurde in englischer Sprache gedreht - Anm. d. Red.) diese Befehle an den Mann zu bringen. Das ist ein weiter Weg, der so aufregend ist und so eine Wachheit fordert. Das ist sehr lebendig und macht mir Freude. So übe ich diesen Beruf aus und habe deswegen wahrscheinlich immer noch Spaß daran.

TVinfo: Der Seewolf wurde auf hoher See gedreht - eine monatelange und enorme physische Anstrengung für Sie und Ihre Kollegen. War das die eigentliche persönliche Herausforderung für den Charakterdarsteller Sebastian Koch?

Sebastian Koch: Nein, das habe ich zwar noch nie gemacht, dass ich mich körperlich so verändert habe (Sebastian Koch hat sich u.a. mit einem dreimonatigen Krafttraining auf die Rolle vorbereitet - Anm. d. Red.). Das ist spannend, und man kann es auch nicht mehr so leicht zurücknehmen. Und es macht etwas mit einem. Es geht zwar auch wieder weg, aber es ist komisch. Was mich interessiert hat, ist die immens hohe Energie von diesem Typ, dieser Blick, der steht, der ist so durchdringend und man kommt nicht an ihm vorbei. Das zu suchen, und das auch für die Kollegen glaubwürdig darzustellen, das hat mich gereizt. Wo ist das, was treibt den - das herauszufinden und zu suchen - auch das der mit seinen Händen jemanden töten kann. Und zwar richtig. Das ist reizvoll für mich, der noch nie jemanden geschlagen hat in seinem Leben (lacht - Anm. d. Red.).

TVinfo: Gerade nach einer solchen Rolle wie die des von der Stasi verfolgten Schriftstellers Georg Dreyman in "Das Leben der Anderen"?

Sebastian Koch: (lacht - Anm. d. Red.) Das war genau das Gegenteil!

TVinfo: Ist das bewusst so gewählt? Sagt man sich, ich muss etwas anderes machen, muss als Schauspieler wandlungsfähig bleiben?

Sebastian Koch: Ich gehe nach der Lust, es muss mich interessieren, und habe da überhaupt keinen Plan. Natürlich würde ich jetzt nicht den nächsten Kapitän spielen, das habe ich ja gerade gemacht. Als nächstes spiele ich im November eine Komödie auf der Isle of Man, etwas komplett anderes.

TVinfo: Was für eine Komödie ist das?

Sebastian Koch: "The Albatros", das ist ein wunderschönes, sehr witziges Buch für einen englischen Kinofilm ("The Albatross" ist die Geschichte eines gescheiterten Schriftstellers, einem Strandhaus und einer jungen Frau. Regie: Niall MacCormick - Anm. d. Red.). Das ist natürlich aufregend, denn das habe ich auch noch nie gemacht. Es gibt wieder etwas für mich zu entdecken, es ist nicht so anstrengend, weil ich körperlich nicht so gefordert bin, sondern Neuland auf einer anderen Ebene.

TVinfo: Gab es Momente bei den Dreharbeiten zum Seewolf, wo sie zwischendurch dachten - jetzt bin ich nahe am Scheitern? Wenn ja, welcher Moment war das?

Sebastian Koch: Man ist erstaunlicherweise doch so konditioniert und fokussiert auf die Rolle, dass die Phantasie den Rest bewältigt. Ähnlich ist das auch bei Gefahrmomenten, wo man über sich selbst hinauswächst bzw. man wächst da hinein und macht Dinge, die man sonst nicht machen würde. Das macht man dann aber souverän, weil man wie auf einer Schiene, wie ein Seiltänzer, darauf läuft. Das ist etwas, warum ich diesen Beruf liebe. Manchmal wacht man dabei auf. Ich erinnere mich an eine Situation, wo ich den Mast hochgerast bin, und da sollte ich knapp unter der Mastspitze etwas reparieren und mich dann so rauslehnen. Und das machst du dann. Es drängt die Zeit und die Sonne ist gerade noch da. Mach mal. Also rennst du da hoch und lehnst dich da oben raus, dann sagen die "cut" da unten und plötzlich merkst du, wo du eigentlich bist. Wenn das Deck schon so heftig schwankt, dass man kaum stehen kann, dann pendelt die Mastspitze durchaus 8 bis 10 Meter.

TVinfo: Ist da Angst in Ihnen aufgestiegen?

Sebastian Koch: Ja, aber Hallo. Natürlich, ich dachte, ich falle jetzt gleich runter, was mache ich hier eigentlich. Das nur als Beispiel dafür, dass man sich in eine andere Sphäre bringen kann.

TVinfo: Wie bewältigt man dann eine solche Situation?

Sebastian Koch: Man muss ja wieder runter da oben, da kriecht man ganz vorsichtig Schritt für Schritt diese Strickleiter wieder runter - lässt sich natürlich nichts anmerken unten, ein Wolf Larsen hat keine Angst…

TVinfo: … und kotzt nicht?

Sebastian Koch: Ja das ist so, und wenn man sich das bewusst macht, sind wir zum Teil sehr über Grenzen gegangen, wo man sagt: Das darf man eigentlich nicht machen. Auch bei Windstärken gedreht, wo ich das Schiff gesteuert habe als Nichtsegler…

TVinfo: … und haben sie Lust am Segeln gewonnen und könnten sich das auch privat vorstellen?

Sebastian Koch: Was ich sehr mochte, ist diese Situation auf einem Boot, dass die Menschen andere sind auf einem Boot, das schätze ich sehr, und es hat eigene Gesetze.

TVinfo: Weil man nicht weglaufen kann?

Sebastian Koch: Ja das hängt damit zusammen. Die Leute müssen sich arrangieren und diese Arrangements müssen als solche stabil sein, zumindest für die Zeit, wo sie an Bord sind. Das fand ich klasse.

TVinfo: Haben sie auch an Bord geschlafen?

Sebastian Koch: Wir sind immer wieder zurückgefahren, das ist auch schön, dass man die ganzen hohen Energien auch wirklich wieder ausklingen lassen konnte. Meistens mit traumhaften Sonnenuntergängen oder super Drinks in der Hand. Da konnte man ausatmen, um am nächsten Tag wieder angreifen zu können.

TVinfo: Wann ging es morgens los?

Sebastian Koch: So um 5 Uhr.

TVinfo: Das erfordert Disziplin. Haben Sie in Ihrem Leben schon einmal im übertragenen Sinne Schiffbruch erlitten?

Sebastian Koch: Sicher habe ich auch viel Mist in meinem Leben erlebt und versucht, das wieder auf die Reihe zu kriegen. Das Leben birgt Risiken und manchmal rasselt man irgendwo rein.

TVinfo: Vielleicht können Sie erzählen, was hat Ihnen geholfen hat wieder an Land zu kommen?

Sebastian Koch: (wechselt in osteuropäischen Dialekt - Anm. d. Red.) Leben geht weiter sagt Ibisevic der Fußballspieler. Man macht manchmal Fehler, lernt daraus und muss dann vorsichtiger sein. Vielleicht hat man zu viel Vertrauen jemanden gegeben. Andererseits wächst man mit diesen Sachen, Leben heißt ja auch Scheitern, sich wieder aufrichten und Erfolg zu haben.

TVinfo: Wie sind sie als Schauspieler so erfolgreich geworden und haben sich den glücklichen Eindruck, den sie dabei machen, bewahrt?

Sebastian Koch: Das hat damit zu tun, dass ich sehr viel absage. Ich bin sehr, sehr gründlich bei der Wahl meiner Rollen. Diese kleine Komödie, die ich jetzt drehe, da verdient man nicht sehr viel, aber da stimmt etwas für mich, ich kann es nicht beschreiben. Auch diesen Wahnsinn beim Seewolf zu durchleben hat für mich gestimmt zu dem Zeitpunkt. Danach wähle ich das aus, das hat etwas mit mir zu tun. Und hat deswegen auch eine Kraft, die sich überträgt. Ich gucke, wozu bin ich in der Lage, wozu fühle ich mich in der Lage und was interessiert mich. Das heißt nicht immer, dass es klappen muss, aber das abzuwägen, da gebe ich mir sehr viel Mühe. Es kann durchaus sein, das ich ein Buch dreimal lese und dann absage…

TVinfo: … dreimal lesen, komplett!?

Sebastian Koch: Ja, dreimal - richtig damit kämpfen. Das ist ungewöhnlich, lohnt sich aber, weil es meistens eine große Chance hat, wenn ich es mache. Dass es eine Kraft hat.

TVinfo: Bei TVinfo bitten wir immer um die Vervollständigung von drei Sätzen:
1. Die Vergabe des Friedensnobelpreises an Barack Obama finde ich …

Sebastian Koch: (lange Pause - Anm. d. Red.) … einen sehr klugen, gewagten fast verspielten Schritt, den ich ganz toll finde. Mich hat das sehr beeindruckt. Aber auch mit aller Gefahr, die damit verbunden ist, das ist nicht einfach. Das Nobelpreis-Komitee hat da etwas gemacht, was entweder komplett wahnsinnig oder ganz klug ist, es ist beides. Ich finde das bewundernswert, und es hat mich begeistert.

TVinfo: 2. Wenn ein Schauspieler behauptet, ihm sei der Applaus des Publikums wichtiger als die Gesellschaft schöner Frauen, dann…

Sebastian Koch: (lautes Lachen! - Anm. d. Red.) … hat er einen Knall. Glaube ich nicht, dann ist etwas schräg mit dem.

TVinfo: 3. Ich höre mit der Schauspielerei auf, wenn …

Sebastian Koch: …ich keine Lust mehr dazu habe. Klingt banal, aber so banal ist es.

TVinfo: A propos: Gibt es Träume oder Überlegungen, wo man sagt: Das könnte ich mir nochmal in meinem Leben vorstellen, abseits der Schauspielerei?

Sebastian Koch: Die Musik, Gitarre spielen.

TVinfo: Aber sie bleiben dann im künstlerischen Bereich? Nicht z.B. zu Amnesty International?

Sebastian Koch: Kann auch sein, das ist auch eine Kunst. Aber die Musik ist etwas Wunderbares und da fühle ich mich sehr Zuhause, würde ich gerne machen.

TVinfo: Sie haben begleitend zum Film, den Roman der Seewolf von Jack London als Hörbuch aufgenommen…

Sebastian Koch: … ja und das aus der Erzählperspektive des Humphrey van Weyden, also ganz eng am Original und nicht mit verstellter Stimme, sondern recht nüchtern…

TVinfo: … damit der Hörer sich in seiner Phantasie ein eigenes Bild malen kann?

Sebastian Koch: Genau. Und auch die philosophischen Unterhaltungen der beiden Buben lassen sich in einem Film nicht in dieser Tiefe darstellen. Mir ist es wichtig, dass man nochmal auf diesen Roman aufmerksam macht, als ein Stück Weltliteratur.

TVinfo: Herr Koch, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Gespräch führten Markus Pins und Michael Schanz.

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