Interview Dieter Nuhr – „Es gibt allen Grund, optimistisch mitzuarbeiten an einer neuen Welt“

Dieter Nuhr hat im Fernsehen viel zu sagen - mit seinem eigenen Bühnenprogramm, beim Satire Gipfel und im Jahresrückblick. Warum er sich auch aktiv für die SOS Kinderdörfer engagiert, lesen Sie hier im TVinfo Interview.

Dieter Nuhr

TVinfo: Herr Nuhr, Sie waren kürzlich in Hong Kong unterwegs. Warum reisen Sie so viel?

Dieter Nuhr: Reisen erweitert ungeheuer den Horizont. Worüber hier gestritten wird, verliert ein bisschen an Brisanz, wenn man ab und zu den Kopf hebt und über den eigenen Tellerrand hinausguckt. Ich fahre gerne in Gegenden, wo es den Menschen weniger gut geht als uns. Ich bin gerne in Indien, Asien, Südamerika unterwegs und auch in Afrika. Und da sieht man, dass die Menschen ganz andere Probleme haben als bei uns. Ich glaube, dass es das eigene Anspruchsdenken in Frage stellt, wenn man reist.

TVinfo: Sie haben auch den Libanon bereist und vor Ort ein SOS Kinderdorf besucht. Was haben Sie da erlebt?

Dieter Nuhr: Es war eine sehr schöne Begegnung. Man kommt meistens in fremden Ländern, in anderen Kulturbereichen nicht dazu, in Häuser reinzugucken und mit den Menschen zu reden. Mein Arabisch ist auch sehr holprig. Im Libanon waren wir bei Familien und in den Kinderdörfern zu Gast, und haben gesehen, wie da gearbeitet wird. Es überzeugt einen extrem, wenn man das miterleben kann. Man hört ja immer wieder diese Argumente: Wenn man etwas spendet, dann kommt das sowieso nicht an. Das ist ein völliger Unsinn. Und es ärgert mich auch sehr, wenn solche doofen Argumente kommen, die gar nicht aus eigener Anschauung resultieren, sondern mehr oder weniger eine Ausrede sind. Man sieht einfach, was vor Ort gearbeitet wird, wie effizient die Hilfen verteilt werden. Und was es auch wirklich bringt, wenn man in so einem Kinderdorf lebt und aus einer Familie kommt, die vielleicht ihre Kinder gar nicht richtig ernähren konnte, die ihnen vielleicht keine Bildung zur Verfügung stellen konnte, keine richtige Erziehung. Und dann kommen die Kinder in ein Kinderdorf und leben dort in familienähnlichen Verhältnissen. Gleichzeitig wird den Familien geholfen. Es wird den Müttern der Kinder geholfen, die nicht gleich ins Kinderdorf einziehen, sondern die noch zu Hause leben. Geholfen, einen Beruf zu finden. Es ist total effiziente Arbeit. Und vor allen Dingen genau auf das abgestellt, was vor Ort gebraucht wird.

Dieter Nuhr im Libanon

TVinfo: Zum Beispiel?

Dieter Nuhr: Ich war auch in Khartum im Sudan. Da gibt es ganz andere Bedürfnisse als im Libanon. Alles in der Umgebung des Dorfes ist total verkommen. Dort geht es darum, den Frauen die Chance zu geben, Geld zu verdienen und sie aus der Abhängigkeit von den Männern zu befreien. Und den Müttern die Möglichkeit zu geben, Kindererziehung bereit zu stellen. Die Hilfe ist also extrem auf den Ort ausgerichtet. Das finde ich ganz toll. Unideologisch. Da wird nicht missioniert. Es wird geholfen, so wie es gebraucht wird. Großartig.

TVinfo: Gibt es ein bestimmtes Erlebnis von Ihren Besuchen, das sie bestimmt nie wieder vergessen werden?

Dieter Nuhr: Es ist ein bisschen albern, weil es ein bisschen kitschig klingt: Aber es ist immer wieder der Empfang in einem Kinderdorf. Wenn man dort vorbeikommt als großer Europäer, der mit der Organisation identifiziert wird, die das Geld gibt, die überhaupt ermöglicht, dass es so etwas wie das Kinderdorf gibt. Dort wird man als großer Gönner empfangen. Was natürlich total übertrieben ist. Und man will das auch eigentlich gar nicht. Aber es ist irgendwie so niedlich, wenn da hundert Kinder stehen und irgendetwas singen. Und es wird da immer gefeiert. An dem Abend gibt es ordentlich etwas zu essen vom Grill. Dann sitzt das gesamte Dorf zusammen. Ein bisschen so wie beim Endbankett in Asterix. Wobei darauf verzichtet wird, den Barden auf den Baum zu schnallen. Da wird getanzt, und da ist eine unglaublich schöne Atmosphäre. Meistens ist es ja auch warm in den Ländern. Man sitzt draußen bis nachts um elf oder zwölf und feiert. Außerdem haben wir Wanderungen gemacht im Libanon. Durch die Berge. Mit ehemaligen Kindern des SOS Kinderdorfs, die alle schon Anfang 20 waren und inzwischen verstreut sind, teilweise in Europa wohnen, weil sie hier studieren. Sie machen teilweise Karrieren und sind dann auch wieder in der Lage, den SOS Kinderdörfern zu helfen, in denen sie aufgewachsen sind. Das ist eine sehr enge Bindung, wie eine familiäre Bindung.

TVinfo: A propos „nie wieder vergessen“ - irgendwie spielt der Tod in Ihren Bühnenprogrammen ja auch immer eine Rolle. Wie kommt das?

Dieter Nuhr: Das ist einerseits die Furcht, dass er mich auch erwischen könnte, was nicht unwahrscheinlich ist. Es ist ja noch nie anders passiert. Grundsätzlich ist der Tod auch das, was unser Leben lebenswert macht. Der November ist der Monat, in dem man darüber nachdenken sollte. Es gibt die fröhlichen Feiertage Allerheiligen, Totensonntag, wenn die Leute sich verkleiden, auf die Straßen gehen und feiern. Der Tod ist bei uns so ein bisschen mit einem Tabu belegt. Ich finde, der Tod ist eigentlich unser ganzer Antrieb. Wenn es den Tod nicht gäbe, hätte ich auch keinen Antrieb, etwas zu machen. Dann würde ich sagen: Das mache ich morgen. Ich bin ja ein bequemer Mensch eigentlich. Wenn ich ewig Zeit hätte, das wäre für mich gar nicht gut. Der Tod ist für mich eine gute Sache, die hinter mir steht, in den Arsch tritt und sagt: Mach jetzt mal was.

TVinfo: Sie haben einmal wohlhabenderen Menschen in reiferen Jahren empfohlen, ihr Geld nicht mit ins Grab zu nehmen, sondern zu spenden. Meinten Sie das ernst?

Dieter Nuhr: Teilweise natürlich schon. Wenn man eigene Kinder hat, will man natürlich auch den eigenen Kindern helfen und vorsorgen. Aber ich finde, dass man bei einer Erbschaft möglicherweise auch an die denkt, die nichts haben. Natürlich muss man dazu erst einmal etwas zu vererben haben.

TVinfo: Sollte man als jüngerer Mensch auch etwas spenden oder lieber eine politische Revolution anzetteln?

Dieter Nuhr: Politische Revolutionen haben bisher in der Menschheitsgeschichte wenig dazu beigetragen, die Welt zu verbessern. Über die Französische Revolution könnte ich jetzt stundenlang diskutieren. Der gesellschaftliche Wandel hat sich hauptsächlich aus geänderten Wirtschaftsweisen ergeben und möglicherweise leider auch aus militärischen Veränderungen. Weniger aus Revolutionen. Und wenn man die Revolutionen des 21. Jahrhunderts sieht, würde ich eher dazu raten, zu helfen und anzupacken statt zum radikalen Umsturz zu rufen, weil der zu nichts Gutem führt. Ich habe, ehrlich gesagt, keine große Idee, wie die Gesellschaft nach einem revolutionären Umsturz aussehen sollte. Wenn jemand diese Idee hat, soll er sie mir bitte mitteilen. Vielleicht werde ich dann auch wieder zum Revolutionär.

TVinfo: Bill Gates wirbt gerade mit seiner Stiftung auf seiner Deutschlandtour für ungeduldigen Optimismus. Sind Sie selber eher Optimist oder Pessimist, wenn es um die Beseitigung von Not und Armut in der Welt geht?

Dieter Nuhr: Ich bin extremer Optimist und sehe das ganz genauso wie Bill Gates. Ich glaube, dass man das auch so sehen muss, wenn man über den Tellerrand hinausguckt. Im Moment ist es ja so, dass die Armut auf der Welt rasant zurückgeht. Es war vor vierzig Jahren noch jeder zweite Weltbürger arm. Und heute ist es noch jeder zehnte. Das ist der Globalisierung geschuldet. Allein in China sind 800 Millionen Menschen nicht mehr arm, sondern nehmen am Wirtschaftsprozess teil. Es tut sich etwas. Es gibt allen Grund, optimistisch zu helfen. Bei uns hat Hilfe immer den Ruf, nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein. Aber das stimmt überhaupt nicht. Helfen ist etwas sehr Zufriedenstellendes, weil es wirklich auch zu Verbesserungen beiträgt. Der gesamte weltwirtschaftliche Prozess trägt im Moment viel zur Verbesserung bei. Natürlich bringt das dann andere Probleme mit sich: Umweltprobleme, und es gibt Verlierer dieser Umwälzung. Das ist mir auch klar. Grundsätzlich gibt es aber allen Grund, optimistisch mitzuarbeiten an einer neuen Welt.

TVinfo: Und dann kommt der Taifun auf den Philippinen… Was wir Ihr erster Gedanke, als Sie vom Taifun auf den Philippinen gehört haben?

Dieter Nuhr: Das Allerschlimmste ist, wenn man so etwas als gottgegeben hinnimmt. Es ist ja auch so: Es gibt immer wieder Naturkatastrophen. Das wird sich niemals verhindern lassen. Man darf sich da nicht in eine Routine fallen lassen. Sozusagen: Alle fünf Jahre passiert etwas Schreckliches mit tausenden von Toten. Da ist ein Erdbeben, da ist ein Tsunami. Es ist für die Leute, die es betrifft, so unfassbar schrecklich, dass man sich das gar nicht vorstellen kann. Da ein bisschen zu helfen, ist, glaube ich, nicht zu viel verlangt. Gerade jetzt in diesen Tagen. In der ersten Woche war es deprimierend. Man bekommt anfangs gar nichts organisiert. Da sind Straßen nicht befahrbar, da gibt es keinen Strom. Wie sollen die Hilfen in den ersten Tagen transportiert werden? Da hat man ganz andere logistische Probleme als nach einer Woche von Aufräumarbeiten. Dann beginnen die Hilfen richtig zu greifen. Es ist so wichtig, dass gerade jetzt in dieser Anfangsphase genügend da ist, um den Menschen beim Überleben in den ersten Tagen zu helfen. Danach kann man sich an den Wiederaufbau machen.

TVinfo: Fällt es Ihnen nach solchen Hiobsbotschaften manchmal schwer, abends auf die Bühne zu treten und die Leute zum Lachen zu bringen?

Dieter Nuhr: Wenn ich ganz ehrlich bin, eigentlich nicht. Ich glaube, dafür ist dieser Reflex zu tief in uns verankert, zu sagen: Das Leben muss weitergehen. Und dieser Reflex ist auch gut. Es gibt so Momente wie den 11. September, die verändern die Welt komplett. Naturkatastrophen gehören eigentlich gottseidank nicht dazu. Man sagt sich dann irgendwann: Ja, es ist wieder passiert. Jetzt muss geholfen werden. Aber das normale Leben muss weitergehen. Und das ist auch sehr wichtig. Die persönliche Katastrophe des Todes oder der Verletzung passiert so vielen Menschen auf der Welt jeden Tag, dass es gar nicht möglich ist, immer mit Empathie dabei zu sein. Immer, wenn der Tod massenhaft an einer Stelle auftritt, dann horchen wir auf. Dann macht es uns aufmerksam, dass da Hilfe von Nöten ist. Ich glaube, dass man nur helfen kann, wenn man selber in einem geborgenen Leben steckt und in gesicherten Lebensverhältnissen. Erst dann kann man anderen helfen. Das ist so ein bisschen wie im Flugzeug, wenn die Maske herunterfällt. Die soll man sich erst selbst aufsetzen und dann den anderen helfen. Ich glaube, das ist auch richtig so.

TVinfo: Leider kommt unser Gespräch so langsam zu einem Ende. Daher zum Abschluss noch drei Vervollständigungssätze. Hier kommt der erste. Seitdem Edward Snowden uns das bestätigt hat, was wir alle schon immer befürchtet haben, denke ich über das Internet, dass…

Dieter Nuhr: ...ich mir keine rosa Pumps mehr in Größe 48 bestelle. Ich will nicht, dass die Amerikaner darüber Bescheid wissen.

TVinfo: Ich stehe nicht nur auf der Bühne, sondern ich schreibe auch Bücher und fotografiere, weil...

Dieter Nuhr: ...das Leben eine Reise ist und man verarbeiten muss, was man da sieht.

TVinfo: Wenn es nur eine einzige Sache geben kann, für die ich für immer in Erinnerung bleibe, dann wäre das am besten...

Dieter Nuhr: ...mein Humor.

TVinfo: Herr Nuhr, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Markus Pins am 15.11.2013 in Düsseldorf.

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